Von Marxens Erdäpfeln

Erdäpfeln möchte ich doch weiterhin lieber kaufen als anbauen. Ich halte diesbezüglich sehr viel von arbeitsteiligem Wirtschaften. Das gleiche gilt neben Karotten natürlich auch für Reparaturen meines Fahrrads oder das Kompostieren meines Biomülls. Ich täte das ungern selber. Dennoch soll es jedermann und -frau unbenommen bleiben, selbst Hand anzulegen.

Ich selber habe Dienstleistungen anzubieten, die ich gerne mache. Sie sind aber so spezialisiert, dass der Biobauer, der meine Erdäpfel und Karotten zieht, damit wenig anfangen würde, wollte ich sie direkt tauschen. Insoferne bin ich ein Verfechter der Geldwirtschaft. Es macht uns beiden, dem Biobauern und mir, das Leben bedeutend leichter.

Genauso wie ich mir das Recht nehme, meine Dienstleistungen – umgangssprachlich: meine Haut – möglichst teuer zu verkaufen, gestehe ich das auch dem Biobauern zu. Für uns beide aber gilt: der Markt reguliert, wie viel wir lukrieren können. Ich möchte eigentlich nicht, dass irgendwer mir vorschreibt, wie viel oder wenig ich verlangen darf, oder ob meine Art von Dienstleistungen überhaupt gebraucht wird. Sollte sich tatsächlich kein Käufer mehr finden, kann ich ja immer noch am Preis drehen oder zu etwas anderem übergehen.

Weder meinen potentiellen Abnehmern noch mir sollte von dritten verboten werden können, meine spezifische Art der Dienstleistung zu beziehen oder zu erbringen. Folglich bin ich gegen die meisten regulativen Eingriffe.

Mein Biobauer hat ein Problem mit der Höhe der Erzeugerpreise für Erdäpfeln und Karotten. Er verkauft gerne direkt an mich, weil ich ihm mehr zu bezahlen gewillt bin als große Handelsketten. Aber ich bin nicht die Art von Abnehmer, von der er leben kann. Noch mehr aber verabscheut mein Biobauer den Gedanken, dass eine staatliche Stelle seine Produktion billigst aufkaufen oder einziehen könnte – selbst wenn er dann dafür im Gegenzug billig Diesel und Tischtücher kriegen kann.

Wir sind beide für den Markt und die Preise, die dieser Markt hergibt – auch wenn wir gerne etwas mehr hätten. Wir sind ferner beide absolut dafür, dass wir uns unser Metier aussuchen dürfen. Er versucht sich gerne mit neuen, also eigentlich alten, Sorten, was ich wiederum goutiere, denn ich finde gerne ab und an mal was Neues. Und er hat sich seine Entscheidung, auf biologische Landwirtschaft umzustellen, seinerzeit gegen den Trend erkämpfen müssen, weil er sie so treffen und umsetzen wollte.

Abstrakt könnte man sagen: mein Biobauer und ich sind Befürworter von Freiheit und Marktwirtschaft. Und damit des Kapitalismus. Denn eine freie Marktwirtschaft ist ohne kapitalistische Prinzipien nicht denkbar. Zur Preisfestsetzung brauchen wir einen funktionierenden Markt, sonst wird das Ganze schnell ziemlich absurd.

Aber kaum ist das Wort Kapitalismus im Spiel, sind auch Banken, Börsen, Spekulanten, Heuschrecken und Krisen im Gespräch. Man übersieht dabei nur zu gern, dass die Basis des Kapitalismus, der momentan leichtfertig verteufelt wird, wir sind, mein Biobauer und ich: Kapitalismus ist einfach die Wirtschaftsweise, die wir bevorzugen.

Die überdimensionalen Luftblasen, die irgendwo weit weg an der Wall Street aufgeblasen werden, bis sie endlich zerplatzen, sind auch Ergebnisse von Freiheit und Marktwirtschaft, das ist richtig. Aber es sind nicht die wesentlichen Dinge, die eine freie Marktwirtschaft, die den Kapitalismus ausmachen. Das Wesentliche sind die Freiheit des Einzelnen und des Marktes. Vom Kleinen bis ins Grosse.

Krisen aber hat ein jedes System; wie auch ein jedes System, das von Menschen betrieben wird, potentiell von Menschen bedroht wird: aus Mutwillen und Egoismus genauso wie aus platter Dummheit. Das wäre in einer nicht-kapitalistischen Wirtschaftsordnung – worin auch immer die bestehen mag – dasselbe: alle Systeme durchlaufen irgendwann in ihrer Entwicklung Krisen und müssen sich mit Menschen herumschlagen, die – egal ob aus Mutwillen und Egoismus oder platter Dummheit – Sand in die Funktion des Systems streuen.

Die Lehren von Karl Marx haben den Kommunismus zu Ziel und Inhalt, und dieser hat wiederum wenig mehr als Terror, Entkulakisierung, Mangelwirtschaft und ähnliches hervorgebracht – und ist von Leuten wie Lenin, Stalin, Mao, Pol Pot oder Fidel Castro mutwillig für egoistische Ziele mißbraucht worden.

Möchte man hingegen diese als Betriebsunfälle qualifizieren und den Marxismus als dafür nicht haftbare ‚Wissenschaft‚ verteidigen, dann sollte man das umgekehrt dem Kapitalismus auch zugestehen: die Krise einiger Finanzmärkte rechtfertigt keine grundsätzliche Kritik an der freien Marktwirtschaft. Und schon gar nicht von so wenig berufener Seite wie dem Marxismus. Von dorther kommt keine Analyse oder Einsicht, von dort her kommt auch keine Hilfe. Marx ist ein Autor fürs Bücherregal, neben Aristoteles, Hegel, Heidegger und Derrida in der Abteilung Historische Philosophen hat er durchaus seine Existenzberechtigung. Man kann gut und gerne Seminare über seine Werke abhalten.

In einer Krise sollte man aber gewiss nicht damit beginnen, den Kapitalismus samt und sonders über Bord zu werfen. Denn die Alternativen sind mehr als dünn gesät. Mein Biobauer und ich wären ansonsten gezwungen, unsere Händel mit theoretischen Erdäpfeln abzuschliessen; solche, die nur auf dem Papier des aktuellen Vierjahresplans bestehen. Man darf nämlich nicht vergessen: es gibt noch immer Länder, in denen diese theoretischen Erdäpfel – oder theoretischer Reis – das Hauptnahrungsmittel sind. Seltsamerweise sind das allesamt Länder mit sozialistischer oder kommunistischer Wirtschaftsordnung.

Im Vergleich dazu geht es uns vermutlich selbst am Tiefpunkt unserer Krise noch goldig. Es ist nämlich unvergleichlich schlimmer, wenn die Nahrungsmittel zwar billig aber kaum vorhanden und darum streng rationiert sind – Cuba ist dafür ein wunderbares Beispiel. Seltsamerweise würden die meisten Cubaner gerne und sofort mit uns tauschen wollen. Von Marxens Erdäpfeln wird man nicht satt.

Es ist traurig, dass gegenwärtig dieselben Alternativen im Schwange zu sein scheinen, wie vor dem letzten Weltkrieg: Marxismus und Faschismus. Dabei befinden wir uns nicht in einer Depression oder tiefen Krise sondern auf der Höhe eines noch nie dagewesenen Wohlstands. Da gehört schon eine Menge Ignoranz dazu, just die Basis dieses Erfolgs in Frage zu stellen.

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