Probabilität und Autopoiesis

Mit der Wahrscheinlichkeit ist das bisweilen so eine Sache. Wenn man sagt, etwas sei zu 66% wahrscheinlich, dann klingt das auf der einen Ebene wie zu zwei Dritteln wahrscheinlich, auf der Ebene des statistischen Laien. Innerhalb der Wahrscheinlichkeitsrechnung oder der Statistik bedeutet 66% jedoch etwas fundamental anderes:
Der Punkt höchster Unsicherheit liegt nicht bei 0% Wahrscheinlichkeit – sondern bei 50% Wahrscheinlichkeit. Denn 50% bedeutet, dass es weder in die Richtung der Ablehnung noch in Richtung der Zustimmung zur Aussage eine Tendenz gibt. Mithin ist 50% die größtmögliche Unsicherheit, die Unentscheidbarkeit schlechthin.
Bei 0% besteht hingegen wieder nahezu absolute Klarheit, denn wenn etwas so vollkommen unwahrscheinlich ist, dann ist die sogenannte Nullhypothese sicher – das ist die Ablehnung der Hypothese, mithin das gerade Gegenteil, die Verneinung der Aussage.
Das IPCC präsentierte im 3. Bericht einen Bereich für die sogenannte Climate Sensitivity von 2 bis 4,5 Grad Celsius: das heißt, dass der Anstieg der Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts im genannten Bereich liegen werde.

Mit einer Wahrscheinlichkeit von 66% sei diese Vorhersage an der Grenze zwischen medium likelyhood und likely gelegen:

In this Summary for Policymakers and in the Technical Summary, the following words have been used where appropriate to indicate judgmental estimates of confidence: virtually certain (greater than 99% chance that a result is true); very likely (90-99% chance); likely (66-90% chance); medium likelihood (33-66% chance); unlikely (10-33% chance); very unlikely (1-10% chance); exceptionally unlikely (less than 1% chance). The reader is referred to individual chapters for more details

Man beachte das der Klarheit halber in schematischer grafischer Darstellung:
Schematische Darstellung Wahrscheinlichkeit 66%
An den Rändern, sowohl bei 100% als auch bei 0%, ist eine Aussage (oder eben ihre Verneinung) sehr sicher. In der Mitte, bei 50%, herrscht ein unentschiedener Zustand.
Mithin wird klar, dass eine Wahrscheinlichkeit von 66% deutlich näher an der maximalen Unsicherheit als im Bereich der Sicherheit liegt. Ein solches Ergebnis ist also nicht zu zwei Dritteln wahrscheinlich, sondern zu zwei Dritteln unsicher!

Natürlich kann man das mit den Medienleuten und mit ihrern Lesern, Zusehern und Zuhörern machen. Denen kann man ja offenbar das eine für das andere vormachen. Es liegt ja irgendwie nahe – und niemand braucht etwas ernsthaft zu behaupten, denn dem Laien suggeriert die Zahl allein von selber die gewünschte Tendenz.

Aber ich habe auch gehört, dass man in der Klimatologie mit solchen Wahrscheinlichkeiten zu leben gelernt hat. Der passende Kalauer dazu wäre, dass man das den Wettervorhersagen nahezu tagtäglich anmerkt… Aber dazu verstehe ich von Klimatologie wirklich zu wenig, das muss ich zugeben.

In einer Statistikprüfung allerdings ist man so gut wie geflogen, wenn man ein Ergebnis mit 66% Wahrscheinlichkeit als valide Aussage in Betracht zieht. In Europa ist man gewohnt, mit einem Konfidenzintervall („Vertrauensbereich“) von 95% zu arbeiten, in Amerika gerne auch mit nur 90%. Was aber bedeutet, dass eine Aussage nur dann als sicher gelten darf, wenn sie zu 95% (in Amerika auch zu 90%) wahrscheinlich ist. Alles darunter wird in der Regel nicht als brauchbar erachtet, denn es könnte – mit Fug und Recht vermuten wir’s – auch ganz anders sein.

Für die gegenwärtige Klimahysterie heißt das: man ist gut beraten, eher nicht davon auszugehen, dass die Erwärmung bis zum Ende Jarhhunderts im Bereich von 2 bis 4,5 Grad liegen wird. Die Hypothese wäre zu verwerfen.
Das soll jetzt aber beileibe keine Global-Warming-Swindle-Geschichte werden. Das Ganze ist mir ziemlich egal, oder um es genau zu sagen: echt original genau wurscht. Wir werden Beweis oder Widerlegung der Hypothese nicht mehr erleben, insoferne ist das ein nicht wirklich interessantes wissenschaftstheoretisches Thema.

Sowohl die pyrrhonische Skepsis – welche die klassische Skepsis ist -, als auch der erkenntnistheoretische Anarchismus etwa eines Paul Feyerabend, der mit jener verwandt aber nicht deckungsgleich ist, legen nahe: hier herrscht zu viel Wollen und Sollen, als dass das noch dem hehren Selbstbild der Wissenschaft genügen könnte.
Die gegenwärtige Klimadebatte trägt alle Anzeichen einer religiösen Erweckungsbewegung vor einem Weltuntergang. Schon die Licht-aus-Panik zum Jahreswechsel 2000 war mit zahllosen wissenschaftlichen Beweisen unterfüttert, darum aber um nichts weniger unsinnig. Die hatte aber immerhin den unschätzbaren Vorteil, dass man das Ereignis – und damit die Bewahrheitung der Prognosen – in menschlich endlicher Zeit erwarten konnte. Das Eintreten einer Erwärmung zu Ende dieses Jahrhunderts werde ich nicht mehr erleben (und auch kaum einer der beteiligten Wissenschafter) – wobei ich die Frage der Erwärmung an sich nicht einmal für unwahrscheinlich, sondern lediglich für wenig relevant halte.

Bis dahin wird, wie man so schön sagt, noch eine unglaubliche Menge Wasser die Donau hinunter geflossen sein – und generell alles ganz anders sein. Wie heißt es bei Wittgenstein im Tractatus unter Punkt 5.1361:

Die Ereignisse der Zukunft können wir nicht aus den gegenwärtigen erschließen. Der Glaube an den Kausalnexus ist der Aberglaube.

Es handelt sich also vielleicht um einen Fall für die Wissenschaftssoziologie: da fließt massenhaft Geld, da warten allerorts Kameras und Mikrofone, die jahrzehntelang einhellig geprügelten Klimatologen und Wetterfrösche stehen endlich einmal im Rampenlicht – es wäre in der Tat interessant zu erfahren, mit welcher Probabilität hier eine Autopoiesis vorliegt, eine medial verstärkte Rückkopplung im System.

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