Musikfest in karger Szenerie

Wiener Festwochen 3

Als Symphoniker gehört Hans Werner Henze längst zu den bedeutendsten Komponisten unserer Zeit. Auch seine umfangreiche Produktion musiktheatralischer Werke hat ihn in den Rang eines der produktivsten und – aufgrund der dramatischen wie psychologischen Qualitäten seiner Musik – besten Openkomponisten seit dem Krieg erhoben.

Henzes Musik ist – nicht erst in den den Werken, die der inzwischen über 90-jährige Deutsche in den letzten Jahren schrieb, sondern schon seit längerem – auf die Charaktäre zugeschnitten, denen er Instrumente zuordnet, und auf Handlung und Dramaturgie seiner Stücke, die sich nicht selten als Paradigmen bis in die Partitur fortpflanzen.

In der Phaedra, die Henze erst im letzten Jahr fertigstellte, führt die Verdoppelung der Personen, denen immer eine hinter ihnen stehende Göttin beigeordnet ist, auch zu häufigen sanglichen Parallelitäten in der Partitur, ja sogar in der Instrumentierung.

Früh in seiner Laufbahn, die bald nach dem Krieg begann, hat sich Henze der damals aufkommenden Reihentechnik zugewandt, diese und andere starre Formen des Komponierens aber auch ähnlich früh wieder verlassen, um die Entwicklung eines eigenen Stils voranzutreiben. Die musikalische Sprache seiner Opern ist dennoch nichts weniger als modern, obwohl sie durch und durch auch als hörbar bezeichnet werden kann.

In der Produktion von Peter Mussbach, die erst 2007 in der Berliner Staatsoper Unter den Linden ihre Uraufführung erlebte und in diesem Jahr zu den Festwochen eingeladen wurde, sang die junge Magdalena Anna Hofmann (schon bekannt aus Janacek’S Katia Kabanova und Wolfgang Rihm’s Jakob Lenz) die Titelpartie der Athener Königsgemahlin, die sich – unwissend um den Konflikt der Göttinnen Aphrodite und Artemis um die gleiche Person – in Hyppolit, den Sohn ihres Gemahls Theseus, verliebt. Obskurerweise – und ganz und gar nicht nachvollziehbar, warum – singt sie aus der Orchesterposition, während Susanne Marik der Figur auf der Bühne Körper und Beweglichkeit leiht. Beides ist wunderbar, Gesang wie Darstellung, doch kostet es beständig Mühe, sich mit dieser Teilung kongrontiert zu sehen.

Hippolyt wiederum, Jeremy Ovenden, ist der wohl einzigartige Fall eines von heftiger Liebe mehrerer Frauen – darunter die Göttinnen, die nichts weniger als fordernde, liebende Weiber sind – umworbenen Jünglings, der jegliche Neigung unerwidert läßt, ja gar verweigert.

Die Rolle der Jagdgöttin Artemis, der Hippolyt in unerschütterlicher Treue ergeben ist, hat Henze einem Kontertenor geschrieben: hier singt Axel Köhler die oberste Jägerin, der in zahlreichen Barockproduktionen aber auch neuesten Werken sang – wie in Glanert’s Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung den Teufel (in diesem Werk war jüngst in der Produktion der Neuen Oper Wien auch Magadalena Anna Hofmann als Liddy zu hören).

Die Aprodite sang – wie schon bei der Uraufführung in Berlin – Marlis Petersen, die acuh schon an der Staatsoper als Sopie im Rosenkavalier zu hören war. Den nur kurz im letzten Bild auftretenden Minotaurus gab der Este Lauri Vasar.

Das Ensemble Modern bewältigte unter dem Dirigat von Michael Boder die zweifellos anspruchsvolle Partitur mit Präzision, nicht ohne in den lyrischen Momenten, und gar, wenn Henze Bach oder einen Tango paraphrasiert, in wahre Spielfreude auszubrechen.

Die Bühne von Olafur Eliasson überspielte ihre kahle Leere zumeist mit Glitzer und Lichteffekten; allein die zeitweilige Abtrennung der Bühne durch eine verspiegelte Wand, in der sich das auf und vor dem Orchesteremporium abspielende Geschehen mit den Protagonisten auf dem Laufsteg – sowie der ganze Zuschauerraum – spielgelte, wirkte in seiner aufgesetzten Bedeutsamkeit, der jedoch niemals eine Bedeutung folgte, ziemlich aufgesetzt. Hier wurde jeglicher Funkte einer Idee von der Effekthascherei geschluckt. Andererseits: gestört hat es nicht. Es passte zu der kargen Inszenierung Mussbachs, die jede einzelne, auf etwas wie eine Handlung hindeutende Regieanweisung des Librettisten Christian Lehnert zugunsten einer vollkommen bedeutungsleeren Einheitlichkeit und Karge ignorierte.

Den Festwochen ist zu danken, dass man nicht extra nach Berlin fahren muss, um eine so gelungene moderne Oper sehen zu können. Vielleicht wird’s ja an der Wiener Staatsoper auch irgendwann einmal wieder so weit kommen, wenn der alte verkalkte Direktor in Pension geht.

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