Der Superstring-Theoretiker Brian Greene hat sich der schwierigen Aufgabe gestellt, Laien den Stand der Dinge in der Physik zu erklären. Dabei wählt er einen recht interessanten Leitfaden, der nur auf den ersten Blick deckungsgleich mit der Entwicklungsgeschichte der Disziplin ist: ihm geht es um die Genese von Raum und Zeit – nicht nur um unser sich allmählich wandelndes Verständnis von Raum und Zeit, sondern um deren Bedeutung für den Aufbau der Welt.
In Der Stoff, aus dem der Kosmos ist: Raum, Zeit und die Beschaffenheit der Wirklichkeit bringt Greene es zuwege, den Leser bei Newton und den für seine Zeit umwerfenden Neuerungen seiner Theorie abzuholen, was gerade noch zumutbar sein sollte, um eine wahre, wenn auch nirgends von Formeln oder Fachsprache verstellte tour de force zu absolvieren bis hin zu den Implikationen multidimensionaler Modelle und den Superstrings.
Erschreckend ist, wie differenziert die Erkenntnisse in der Teilchenphysik genauso wie in der Kosmologie inzwischen sind – mit anderen Worten: was wir inzwischen versäumt haben, seit unser – schon damals nicht auf dem Stand der Zeit befindlicher – Gymnasialprofessor uns ein paar Geheimnisse verraten hat. Das Thema hätte wohl beträchtlich interessanter sein können!
Das Problem scheint auch hier zu sein, dass ein Physiker und ein Theoretischer Physiker nicht mehr wirklich eine gemeinsame Sprache haben, geschweige denn, eine gemeinsame Welt bewohnen.
Erstaunlich ist aber, wie mit den Mitteln der Mathematik Erkenntnisse über einen Bereich des Kosmos – im Fernen, im zeitlich Entfernten wie auch im Kleinsten – gewonnen werden können, der sich jeglicher einfachen Beobachtbarkeit entzieht. Andererseits vermag Greene den Zusammenhang der unterschiedlichen Theorien zu erhellen und den Sinn einer vereinigten Theorie plausibel zu machen, ohne deswegen gleich in die Euphorie auszubrechen, dass damit so etwas wie die Weltformel gefunden wäre – was immer die darstellen würde.
Nach der vielen Philosophie tut es wahrlich gut, wieder einmal von jemand zu lesen, der sich dessen, was er da tut, nach Maßgabe seiner spezifischen Methoden sicher zu sein scheint. Dabei kann man der Darstellung von Greene aber keineswegs vorwerfen, er halte den Stand der Erkenntnisse für weit gediehen oder verspreche sich einen Ausblick auf den Zeitpunkt, an dem alles geklärt wäre. Stellenweise wird transparent, dass die Präsentation, Diskussion und – fallweise – Akzeptanz von Theorien ein im Kreise laufender Prozess ist, bei dem immer wieder auf ältere Positionen rekurriert werden kann, die vom herrschenden Konsens eigentlich schon ausgeschieden waren.
Gerade dem Wiener Mathematiker, Physiker und Philosophen Ernst Mach kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Seine Konzeption des Raumes wurde zu seinen Lebzeiten von der Forschergemeinschaft abgewiesen, später jedoch entstanden Modelle, die dem seinen nicht nur recht ähnlich waren sondern auch ihrem Schöpfer einiges verdankten – Einstein hat das frank und frei anerkannt.
Der Raum scheint vieleckiger zu sein, als wir das mit unseren auf bloss drei Dimensionen abgestellten Sinnesorganen wahrzunehmen – und daher auch: zu imaginieren – imstande sind. Hier hilft nur noch blanke, komplexe Mathematik. Man glaubt es bald. Was die Zeit betrifft, so entpuppt sie sich als Dimension des Raumes. So klar wie Greene vermochte das noch kaum jemand vor Augen zu führen. Und sie scheint, was eine den alltäglichen Kopf nahezu sprengende Wirkung erzeugt, keineswegs unbestritten eine Richtung zu haben: in dieser physikalischen Welt scheint es nichts zu geben, was zwingend das Fortschreiten der Zeit von dem, was wir uns angewöhnt haben, Vergangenheit zu nennen, hin zu dem, was wir Zukunft nennen, erforderlich machte.
Die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung funktionieren in beide Richtungen – Zeit im Sinne einer allgemeinen Richtung spielt dabei keine Rolle; dieselben Naturgesetze wirken auch in der Rückabwicklung des Glasbruchs. Das reizt zunächst zum Widerspruch. Doch wahrscheinlich sind wir damit nur wiederum an einem der vielen Punkte angelangt, an denen unsere Alltagsphysik uns dumm im Regen stehen läßt.
Ist man schließlich mit Greene bei jenen Erklärungsansätzen angelangt, die derzeit Favoriten für die nächsten Quantensprünge zu sein versprechen, so überträgt sich die vom Autor mehrfach beschworene elektrisierende Spannung auf den Leser: man kann es kaum erwarten, dass es wieder einen Schritt weiter geht.