In einer Zeit, wo alles möglichst zurück ins Originale transponiert genutzt zu werden verlangt, mag es geradezu als ein Sakrileg gelten, dass da einer – Gustav Mahler – die Symphonien eines anderen – Robert Schumann – einer Revision unterzieht, um sie spielbar zu machen. Gut, das begab sich 1899 und in den Jahren nach jener Jahrhundertwende. Aber das muss man doch heute nicht mehr… oder?
Wie segensreich es da wirkt, dass wir uns angewöhnt haben, alles, aber auch wirklich alles, was ein Genius zu schaffen sich jemals anschickte, uns auch jedes Recht gebend ansehen, welches wir auch selbstbewußt ausüben.
Die beiden Positionen kollidieren heftig. Doch im Grunde muss man sich nicht entscheiden. Für mich ist Schumann nie ein bevorzugter Symphoniker gewesen, Mahler hingegen sehr wohl – also scheint mir geradezu zwingend, jenen durch diesen zu hören:
Mit dem Gewandhausorchester hat Riccardo Chailly die Editionen Mahlers von Schumanns 4 Symphonien komplett neu eingespielt. Es gab zwar schon etliche Aufnahmen, unter anderem von Aldo Ceccato mit dem Bergen Philharmonic Orchestra, diese hier hebt aber Mahlers Bearbeitungen aus dem randständigen in einen zentralen Bereich der Aufmerksamkeit.
Allzu heftig hat Mahler nicht eingegriffen – man muss ihm nicht Vorwürfe machen wie etwa dem unseligen Friedrich Torberg,der Fritz von Herzmanovski-Orlando zwar der Vergessenheit entriss, dabei aber unnötigerweise und grausam verstümmelte – oder dem Vorläufer gar seine Sicht des Orchesterklangs aufgezwungen. Er widerstand weitestgehend der Versuchung, Schumann zu modernisieren.
Seine Eingriffe in die Orchestrierung dienen eher dazu, den recht massiven Umgang Schumanns mit dem Orchester, der ab der 3. Symphonie auch dem Einfluss Wagners sich dankte, zu lockern, wo er allzu breiig die darunter verborgene kunstfertige Satzstruktur überzog. Hier behandelte Mahler den älteren nicht anders als sich selbst: auch bei seinen eigenen Symphonien ging er ähnlich vor. Dabei war es ihm überwiegend um die im Original allzu reduzierte Dynamik zu tun.
Am häufigsten griff Mahler in die Erste ein, etwa doppelt so oft wie in die anderen drei. Natürlich spielte auch die Entwicklung des Instumentenbaus, etwas bei den Hörnern, eine Rolle; manches war mit den Naturhörnern nicht vertretbar zu spielen, was dann mit den neueren Ventilhörnern problemlos ging – hier kehrte Mahler zur Erstfassung Schumanns zurück. Sodann reduziert er Bläser, damit sekundäre Melodien und Motive zur Hörbarkeit empor zu dringen vermögen.
In der zweiten räumt Mahler etliche forti beiseite, da Schumann hier auf wenig andere Ideen gekommen scheint; er dünnt auch die Bläser aus, um die Vorgänge im Satzbau durchhörbar zu machen. Im Schlussatz findet sich auch der einzge wirkliche Eingriff in Schumanns Harmonien und gar die Ersetzung in der Basslinie.
In der Dritten geht Mahler auf die Trompeten los, die in 60% der originalen Symphonie zu spielen hatten, was offenbar der Kapellmeister Mahler zu dick aufgetragen empfand, sodass er sie zu mehr als einen Drittel fortstrich. Manche Eingriffe in die Dynamik klingen dann auch so sehr nach Mahler, dass man getrost annehmen kann, sie wären dem etwas einfacher gestrickten Schumann erst gar nicht eingefallen.
In der Vierten fügt Mahler eine dritte Trommel hinzu, und ermöglicht es sich damit auch, ein C und ein Dis zu setzen, das wohl auch Schumann dort gern gehabt hätte – es scheint sich an dieser Stelle jeweils zu fordern -, aber auf der Basis seines Orchesters nicht setzen konnte. Wirkliche Verbesserungen brachte Mahler auch im Trio des Scherzos zustande, indem er gezielt pizzicati setzte.
Mahlers Edition entspringt weder der Erkenntnis, dass Schumann etwa ein Stümper beim Orchestrieren gewesen wäre, noch schuldet sie sich einer Zeit, die mehr Modernität verlangt hätte – sein Motiv ist einzig eine tiefe Verehrung für den Symphoniker Schumann gewesen – das kann man hören. So ist quasi der ältere beim jungen Orchestrator noch einmal posthum in einen Meisterkurs gegangen.
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