Freiraum für etwas Sight Seeing genutzt, zunächst das Pergamon Museum – ich wollte diese in aller Welt zusammengestohlenen Denkmäler der Menschheitsgeschichte längst einmal in natura sehen. Aber diese ganze sogenannte Museumsinsel ist schlicht und ergreifend zum Kotzen!
Das ist die alte preußische Großmannssucht, dieses ins Gigantomanische abgehobene Geltungsbedürfnis, diese hoch hinauf gebaute Angst, nicht seiner Bedeutung gemäß wahrgenommen zu werden. Das zieht sich hier durch. Vor lauter geforderter Größe verlieren sich die Proportionen. Ausgehend vom Alten Museum Schinkels kann man über das Neue Museum und die Alte Nationalgalerie bis zum Bode-Museum und schließlich dem entsetzlichen Pergamon-Museum den rasenden Verfall von architektonischem Maß und Ziel verfolgen. Hier repräsentiert sich die preußische Unkultur.
Noch erschreckender aber ist der Inhalt: allein die Mischung ist hahnebüchen! Von den ersten Hochkulturen des Zweistromlandes reicht der Mix über die klassisch griechische, die hellenistische und die römische Epoche bis in die islamische Welt. Einziges gemeinsames Merkmal: die schiere Größe der Kernexponate. Wer kennt nicht die Abbildungen des Ishtar-Tors oder des Pergamon-Altars, die alle Schulbücher zieren? Hier stehen die Dinger im Original.
Die sich hochstehend wähnende deutsche Kultur hat im 19. Jahrhundert zunächst einmal – uner dem Deckmantel der Wissenschaft – durch eine freche Serie von Diebstählen und kuturellen Plünderungen von sich reden gemacht. Aber nicht dass man nicht auch in den Vatikanischen Museen oder dem British Museum, wie überhaupt in den Hauptstädten aller ehemaligen Kolonialmächte, Schätze und Zeugnisse findet, die mit mehr oder weniger Gewalt und einer unvornehmen Portion Betrug herbeigeschafft wurden.
Auch Wien glänzt ja mit einer (angeblichen) azthekischen Federkrone und etlichen alt-ägyptischen Kunstschätzen. Und natürlich ist Deutschland schon damals reicher und bedeutender gewesen als Österreich-Ungarn.
Das Aufstoßen kommt aber hauptsächlich – wieder – von der Gigantomanie: man hat es sich angelegen sein lassen, gleich ganze Stadttore, Tempel und großflächige Mosaike aus ostiensischen Villen abzutransportieren. Die Geschichte dieser Erwerbungen ist mir im Einzelnen nicht gewärtig, vielleicht hat ja auch der Duce seinem Freund, dem Führer, das eine oder andere verehrt. Man könnte sich um diese Kenntnisse bemühen, zweifellos. Dazu reicht aber die Zeit nicht.
Ein recht ähnliches Beispiel bietet der Park von Sans Souci: Potsdam selber strahlt den derben Charme von über vierzig Jahren DDR aus, wirkt am Sonntag nachmittag auch ähnlich lebendig. Im Park stehen, wenn man nicht gerade von der richtigen Seite kommt, zuerst einmal kleinere und größere Bausünden herum.
Das Neue Palais ist – ganz wie die Bauten auf der Museumsinsel und übrigens auch der Dom – ein Brechmittel in seinen megalomanischen Ausmaßen. Auch und gerade die Orangerie ist ein Muster für entglittene Architektur. Da wollte jemand seiner Macht und angemaßten Bedeutung entsprechend gebaut wissen.
Diese Wilhelms waren offenbar – nein: offensichtlich – gründlich halbgebildete Omnipotentaten. Sie entwarfen selbst die Vorlagen für ihre Baumeister. Aus irgendwo im Hintergrund klassischen Ansätzen wurden Turbogewächse gezogen, die als überdimensionale Stilruinen den Park bevölkern.
Käme man nicht zum Schluss des Rundgangs ans namensgebende Schlößchen Sans Souci, man verließe Potsdam mehr als nur konsterniert und traurig um einen vergeudeten Nachmittag. Doch hier steht alles richtig! Auch die Proportionen stimmen noch. Für einen Alterssitz des Großen Friedrich nimmt sich das Gebäude ausnehmend schlank und geradezu klein aus. Es liegt schön an Hügel in einer perfekten barocken Blickachse, wenn der Blick auch von oben herab bedeutend schöner ist als von unten hinauf: die aufsteigenden Terassen sind etwas phantasielos gestaltet.
Man kann feststellen: dies hier wurde in der richtigen Zeit gebaut, im Stil, der gerade gleichzeitig in Europa vorherrschte. Die vielen anderen Bauten, die in Potsdam wie Berlin noch folgen sollten, verfielen dann schon dem Historismus, oder leider – was erschwerend konkretisiert werden muss – einem preußischen Historizismus.