Von Barcelona nach Reims

Wenn ich schon mal zu einer Zeit in Barcelona bin, wo im altehrwürdigen Gran Teatre de Liceu auch was gegeben wird, das sich zu sehen lohnt, muss ich natürlich dabei sein! Beim letzten Mal mussten wir mit einer gefühlt hundertsten Umsetzung von Verdis Troubadur vorlieb nehmen, nur um das Liceu meiner weltumspannenden Liste besuchter Openhäuser hinzuzufügen. Diesmal aber stand Gioacchino Rossini auf dem Spielplan, noch dazu Il Viaggio a Reims, das ich noch nie – o Schande! – gesehen habe.

also haben wir nicht lange gefackelt und rasch noch Karten organisiert. Zu meiner Überraschung war das Haus nach halb leer… Erste Produktion der Saison. Gewidmet den Opfern und Angehörigen jenes feigen Attentats, das erst wenige Wochen vorher auf den Ramblas, direkt vor den Türen des Liceu, stattgefunden hat.

Die Inszenierung von Emilio Sagi kommt mit einem ebenfalls von ihm stammenden sparsamen Bühnenbild aus. Eine schmale Reihe von Deckstühlen wie an der Reling eines Kreuzfahrschiffes. Es könnte aber auch ein Sanatorium sein, ein Wellness-Bereich oder sonst was. Das Motto der Produktion: una paròdia de l’alta aristocràcia läßt hier viel Interpretationsspielraum. Ansonsten aber muss man gar nicht viel aus dem Libretto oder über das Setting wissen. Hier geht es noch in durchaus barocker Tradition um nichts anderes als die Selbstrepräsentation einer Kaste, ursprünglich Adelige auf der Reise zur Krönung von Karl X. in Reims. Was das in einem Katalonien bedeutet, das gerade draußen in der realen Welt von einem verzopften, noch immer tief in seinen franquistischen Unterdrückungstendenzen verstrickten spanischen Zentralstaat bei seinem Referendum über seine Unabhängigkeit behindert wird, kann man als Fremdling nur mutmaßen. Allzu offensichtlich aufgetragen wurde dieser Zusammenhang jedenfalls nicht.

Dirigent Giacomo Sagripanti servierte mit dem Orquestra Simfònica del Gran Teatro de Liceu einen luziden, geradezu ziselierten Rossini, bei dem jede Feinheit säuberlich herausgearbeitet klingt, erklingen darf.

Das Ensemble mit Adriana González, Maite Beaumont, Leonor Bonilla, Ruth Iniesta, Juan de Dios Mateos, Levy Sekgapane, Baurzhan Anderzhanov, Pedro Quiralte, Vincenzo Nizzardo, Manel Esteve, Alessio Cacciamani, Jorge Franco, Paula Sánchez-Valverde, Marzia Marzo, Tamara Gura, Beñat Egiarte und Carles Pachón liefert eine kompakte, gleichmäßig gute Leistung ab, mit lyrischen Höhepunkten wird durchaus nicht gespart.

Zunächst hatte ich befürchtet, ich wäre einfach zu müde an einem Tag, der mit der Anreise zum Flughafen in Wien schon um 4 Uhr früh begonnen hat, aber Rossini hat mich sofort gefesselt und alle Müdigkeit weggeblasen.

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