Sir John Falstaff, der prahlende Ritter aus Shakespeares Heinrich IV und Die wilden Weiber von Windsor, ist kein seltener Gast auf der Opernbühne: heutzutage gerne gespielt werden die Opern von Giuseppe Verdi und Otto Nicolai; dabei gibt es noch weitere Schätze zu heben – das Theater an der Wien hat es in dieser Saison unternommen, den Falstaff von Antonio Salieri ins Licht zu rücken.
Da gibt es zuallererst einmal eine bezaubernde Partitur zu entdecken. Salieri ist ein begnadeter Komponist, er wird leider im Gefolge der Verleumdungen aus Milos Formans Amadeus – der allerdings nicht der Urheber des Unsinns ist – eher als unerbittlicher Gegner Mozarts, bis hin zum Tötungsvorwurf, wahrgenommen, denn als Komponist der italienischen Schule. Doch Salieri steht genau wie Mozart und andere Zeitgenossen auch deutlich unter dem Einfluss der Opernreform Glucks. Gerade im Falstaff kann man davon einiges hören.
Was auffällt, wenn man dies und jenes von Mozart im Ohr hat, ist die etwas lapidare Beiläufigkeit, mit der Salieri musikalische Scherze in die Partitur seiner komischen Oper streut, so gar nicht auf den Effekt getrimmt, wie wir das bei Mozart gewohnt sind. Dennoch strotzt diese Musik vor vielfältigen Ideen und einer motivisch feinen Klinge. Und im Gegensatz zu Gluck gelingen Salieri auch noch prachtvolle Arien im alten Stil.
Ein Wenig Bekanntheit genießt dabei lediglich „La stessa, la stessissima“ – dank der Variationen, die der junge Beethoven darauf für Klavier geschrieben hat. Ein paar Splitter davon sind als verbindendes Material eingestreut. Aber die Oper hat weitaus mehr zu bieten: manches ähnelt Mozart, aber es ist beileibe nicht ausgemacht, wer dabei das ursprüngliche Genie war. Das ist aber auch egal.
Die Inszenierung versetzt die Handlung in eine ziemlich aktuelle Gegenwart, verkörpert durch die nicht im Libretto vorgesehenen Royals Elizabeth und Prince Philip, die als köstliche Satiren durch die Szenen wandeln – Heidelinde Sedlecky und Rudolf Karasek müssen daher trotz Stummheit erwähnt werden. Entsprechend sind die Damen der Gesellschaft, die das Ziel der Begierden des Titelhelden abgeben müssen, als Damen der heutigen höfischen Gesellschaft gezeichnet, bisweilen mit recht deutlichen Anspielungen auf Lady Di und diese Andere von Prince Charles, wie immer sie heißen mag.
Der Eindruck der Verortung sowie auch ein gerüttelt‘ Maß an Witz entspringen nicht zuletzt der von Vasilis Triantafillopoulos und Herbert Schäfer genial besorgten Ausstattung. Das beginnt beim ersten Auftritt von Falstaff und Diener als unverkennbare Parodie von Dick & Doof, und setzt sich in einer Reihe von geschickten Pointen mit Kleidung und Accessoires fort. Fad wird einem nicht.
Regisseur Torsten Fischer hat uns eine kurzweilige, zwischendurch sogar rasante Komödie serviert, an der es rein gar nichts zu mäkeln gibt. Er fordert die schauspielerischen Talente seiner Sänger, und das ist ganz gut so, denn man muss mit einem Ensemble ganz ohne Glanz und Gloria vorlieb nehmen, wobei ich zugeben muss, dass ich keine einzige Sängerin, keinen einzigen Sänger vorher kannte…
Dabei singen sie alle wirklich passabel, spielen sich die Seelen aus dem Leib und setzen die ihnen zugedachten Pointen mit traumwandlerischer Präzision – was wohl viel Arbeit war. Es ist ein Genuß, ihnen zuzuhören und zuzusehen – in Reihenfolge meines Wohlgefallens:
- Anett Fritsch als Mrs. Ford
- Christoph Pohl als Sir John Falstaff
- Alex Penda als Mrs. Slender
- Arttu Kataja als Mr. Slender
- Maxim Mironov als Mr. Ford
- Mirella Hagen als Betty
- Robert Gleadow als Bardolf
Dabei sind die Unterschiede winzig, von der ersten bis zum letzten. Als Ensemble sind sie noch stärker, hier gilt wirklich: die Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!
Musikalisch leitet René Jacobs die Akademie für Alte Musik Berlin und den Arnold Schönberg Chor, dem – nebenbei bemerkt – Salieri ein paar glanzvolle Passagen geschrieben hat.
In Summe ein echter Operngenuß! Für solche Abende ist man gewillt, das Theater an der Wien wieder als die klar bessere Bühne in der Stadt anzusehen. Sowas locker Luftiges, Fluffiges kriegen die Herrschaften in der alten verstaubten Staatsoper nie und nimmer hin. Ich habe mich ähnlich gut amüsiert wie beim Xerxes in Graz.
Ein Gedanke zu “Der ungekannte Sir John”