Subtext der Enttäuschung

Ja, aus mehreren jüngeren Werken des einstigen DDR-Historikers Wolfgang Ruge spricht die Enttäuschung, im Namen einer großen Idee betrogen worden zu sein. Da wäre sein wenig idealistisches Porträt Lenin: Vorgänger Stalins, das ganz direkt den Mythos vom guten Lenin und bösen Stalin angeht, in dem es sich die Kommunismusnostalgiker aller Länder bequem gemacht haben.

Ruge ist aber noch bloß einer, der post festum über Geschichte schreibt, er ist einer, der wesentliche Teile dieser Geschichte, und vor allem des Mißlingens der kommunistischen Idee im real existierenden Sozialismus, am eigen Leibe erfahren musste:

In seiner Autobiografie Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion schildert Ruge, wie er als hoffnungsfroher – und gläubiger – sechzehnjähriger Jungkommunist aus dem Deutschland Hitler zu fliehen gezwungen war, sich in die Sowjetunion Stalins durchschlug – und allmählich lernte, zu beobachten und vor allem keine Fragen zu stellen.

Diese ersten Kapitel seiner Zeit in Moskau vor dem Ausbruch von Stalin-Hitler-Pakt und Großem vaterländischem Krieg gehören in ihrer Subtilität zum feinsten, was über beginnende Desillusionierung geschrieben wurde: da ist dem jungen Deutschen vieles unverständlich, zunächst die reale Rückständigkeit hinter der großspurigen Propaganda, aber auch die Schizophrenie einer sich modern gebenden Gesellschaft mit mittelalterlichen Herrschaftsstrukturen. Und bald die allgegenwärtige Angst vor dem Terror.

Dieser trifft, zunächst in Gestalt der forschen Entinternationalisierung der Gesellschaft, auch den idealistischen Jungkommunisten, lässt ihn sich einordnen in den russischen Alltag – und beschert ihm schließlich die üblichen Verdächtigungen als Ausländer. Mit dem Angriff Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion wird Ruge wie alle anderen Deutschen auch zwangsdienstverpflichtet und hinter den Ural abgeschoben. Fürderhin erlebt er Verbannung und auch den Gulag als Arbeitsarmist.

Dass dem Kommunisten dabei vom real existierenden Sozialismus der Glaube ans Gute im Sowjetsystem ausgetrieben wird, liegt nicht nur an der persönlich erlittenen Behandlung, sondern offenbar auch an der wieder und wieder konstatierten Ineffizienz, Rückständigkeit und Ungerechtigkeit im System. Hier ist zu beobachten, wie eine Illusion zerbröckelt. Immerhin aber vermag er während der letzten Jahre seiner Arbeitsverpflichtung ein Studium der Geschichte abzuschließen.

Auch die späte Rückkehr in die Heimat, erst 1956 – drei Jahre nach Stalins Tod – wird Wolfgang Ruge repatriiert, gerät zur Enttäuschung, das vollkommen demolierte Ostdeutschland enttäuscht den Heimkehrer vollends. Dennoch nimmt er die Offerte an, als Mitglied der Akademie der Wissenschaften tätig zu werden – und betreibt bis zur Wende 1989 Geschichte im Banne des Marxismus-Leninismus. Da grenzt es dann schon an ein Wunder, dass sich in dem langjährigen DDR-Funktionsbürger ein wacher kritischer Geist erhalten zu haben scheint: seit seinem Ableben gibt sein Sohn Eugen Ruge Werke aus dem Nachlass heraus, die zeigen, wie tief die Enttäuschung wohl gedrungen ist.

Als Beschreibung des GULAG ist Wolfgang Ruges Buch wohl noch eines der harmloseren. Interessant ist darin vor allem der Subtext seiner Auseinandersetzung mit der sich aufbauenden Enttäuschung. Spannend wäre wohl eine Fortsetzung dieses Subtexts in den Jahren der DDR.

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