Natürlich ist Jonas Kaufmann da im Vorteil: wer von den renommierten Tenören kann denn den Goethe’schen Werther glaubhaft auf die Bühne stellen? Die Spanier und Südamerikaner eignen sich da nicht wirklich, ihnen nimmt man den Grübler nicht ab – und die Figur Werther ist alles andere denn feurig, das Wort hatte schon für Meister Goethe keinen nachvollziehbaren Sinn. Der Werther ist mehr wie ein Hähnchen, das im eigenen Saft schmort, und sein Selbstmord gleicht der finalen Einsicht, dass er jetzt durch ist. Heutzutage laufen solche Geschichten nur mehr in Groschenheften.
Irgendwann mal hat es aber Wellen geschlagen, und zwar nicht nur zur Bekanntmachung des jungen Goethe, sondern noch ein Jahrhundert später, als Jules Massenet sich des Stoffs angenommen hat und seinen ‚Werthér‘ daraus formte. Den muss man klar vom Goethe’schen Original unterscheiden, denn die beiden Geschichten haben bis auf den Ort und das tragische Ende nun wirklich nichts gemein. Ist aber auch egal, sind beides elende Schmonzetten.
Das Grausliche an Massenet ist – egal in welcher seiner Opern – das zur Perfektion gesteigerte Romantische. Insoferne passen Sujet und Umsetzung beim ‚Werthér‘ ideal zusammen. Viele Opernfans lieben das Zeug auch, weil es so schöne Melodien beinhaltet. Mir ist es eigentlich – wie fast alles auf der Epoche – einfach ein Graus.
Und doch: Jonas Kaufmann vermag die Figur musikalisch zu beleben und aus der Romanze heraus zu heben, als wär er der erste, der ein Wenig Modernität in der alten Schmonzette entdeckt hat. Das versöhnt dann doch über weite Strecken mit dem Werk. Zumindest muss ich es nicht bedauern, diesmal die Übertragung Live in HD aus der MET nicht geschwänzt zu haben.
Ganz anders Sophie Koch, die es eigentlich vermasselt: sie ist steif, man glaubt ihr keinen Ton lang die Situation; und obwohl sie im Pauseninterview von der Realitätsnähe der Inszenierung von Richard Eyre schwärmt, scheinen seine Instruktionen an ihr nahezu spurlos vorbei gegangen zu sein. Vielleicht liegt das auch an der Einschnürung durch die Kostüme. Leider ist sie auch gesanglich nicht auf der Höhe, das ist bestenfalls Durchschnitt. Obwohl ich das nicht wirklich mit anderen Charlotten vergleichen kann, schon allein, weil ich mir das Zeug höchst ungern anhöre. Es stimmt einfach nicht. Und meine andere Begegnung in überschaubarer Vergangenheit, jene am Kap der Guten Hoffnung, war ja sowieso durch und durch – nun ja: – exotisch.
Die junge Lisette Oropesa ist als Sophie der wahre weibliche Lichtblick – aber das konnte sie auch schon im Falstaff unter Beweis stellen. Sie bewältigt die Partie in graziler Manier, singt gar allerliebst – und wird von Werthern trotzdem ignoriert. Das ist auch ein Problem dieser Opernfigur Werther, dass er beharrlich der überwuzelten Charlotte nachrennt, während er die viel hübschere Sophie mit einem Schnippen haben könnt‘. Und die Besetzungsbüros aller Opernhäuser dieser Welt tun ihr Möglichstes, das noch zu unterstreichen.
Dagegen ist der Albert von David Bizic so steif wie die englische (?) Uniform, die man ihm völlig unpassenderweise verpasst hat. Er bringt sich nicht wirklich ins Spiel.
Dirigent Alain Altinoglu liefert eine schwelgerische Interpretation, so sehr auf der romantischen Seite, dass es bisweilen ins Kitschige kippt.
Ein Gedanke zu “Ein glaubwürdiger Werther”