Versäumnis des Jahres

Tiefe, ehrfürchtige Verneigung!
Nikolaus Harnoncourt ist lautstark zu preisen: der Vorschlag, Joseph Haydn als Opernkomponisten wieder zu entdecken, dem das Theater an der Wien gefolgt ist, hat sich mit Verve, Witz und unglaublicher musikalischer Eleganz bewiesen!
Haydn’s Oper Orlando paladino ist ein Gustostückerl sonder gleichen, bei dem man nicht von Geheimtipp oder Rarität sprechen darf, denn das Werk ist – schon gar in der dem Witz seinen weitläufigen Raum lassenden Inszenierung von Keith Warner (im Februar in Hamburg für Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss von Kritik und Publikum noch arg zerzaust) – schlichtweg genial.

Gar nicht zu verstehen ist, da muss man Herrn Harnoncourt ungemildert zustimmen, warum Haydn als Komponist solcher Opern nicht stärker wahr genommen wird, ja speziell in Österreich überhaupt schlichtweg ignoriert wird.

Das Werk hat stellenweise Anklänge an Mozart, besonders in der Figur – und den Arien – des Dieners Pasquale (bravourös: Markus Schäfer) lacht ein Leporello hervor, der zugleich dessen älterer Bruder sein könnte. Sogar die Registerarie vermeint man zu hören, wenn Haydns Pasquale seine Auftrittsarie Ho viaggiato in Francia, in Spagna anstimmt; ja in der Verführungsszene mit der Schäferin Eurilla (so schnippisch wie sexy und gleichfalls stimmlich brilliant: Juliane Banse) sind seine auf die Laute Ah-Eh-Ih-Oh-Uh reduzierten Kommentare einfach zum Schieflachen komisch. Ebenso die Arie, in der er seine vermeintlichen Fähigkeiten als Musiker anpreist. Beides Kabinettstücke, wie Harnoncourt im Programmheft sagt.

Die koloraturenreiche Hauptpartie der liebenden Königin Angelica singt die in Florenz ausgebildete Eva Mei mit viel Glanz, obwohl die Partie im vergleich zu den komischen und heldenhaften Männderfiguren wenig Klamauk oder Glorie bietet – doch gerade in den ruhigen Partien vermag sie eindringlich zu wirken.

Ihr (liebender) Partner Medoro (Bernard Richter) ist die etwas unterrepräsentierte Figur der Oper: die großen Helden Orlando, der ewig in Rage tobende Namenspatron des Werks, und Rodomonte, der siegreiche Kämpfer, rechtfertigen die Bezeichnung der Oper als dramma eroicomico:
Jonathan Lemalu verleiht dem Barbarenkönig Rodomonte eine ins Tragikomische gebrochene deplacierte Identität: er paßt mit seiner im fremden Volk vielleicht königstypischen Prahlerei nicht ins Bild der vergleichsweise zivilisierten Umgebung. Hier liegt der akzent mehr auf der Komik.
Kurt Streit verkörpert die unermüdliche Raserei des Orlando (der direkt aus dem Orlando furioso des Ariost hervorgeht) mit mehr auf der Tragik liegendem Schwerpunkt – wenn es schon tragikomisch sein muss.

Eine kühle Alcina (Elisabeth von Magus), als Zauberin zuständig für die Bändigung der Rasenden und Kämpfenden, die Rettung der Fliehenden sowie die schlussendliche Auflösung der gesamten Fabel ins allgemeine Wohlgefallen, behält die Fäden in der Hand.

Bei all dem Lieben, Schmachten, Toben, Fürchten, Zürnen und Spielgelfechten wird’s einem trotz dreier Stunden Dauer keine Minute fad. Das flexible Bühnenbild illustriert aber dominiert nicht, die Tänzer haben Einlagen und eine handlungsunterstützende Aufgabe, was in Opern nicht oft vorkommt – und sei es als Kulissenschieber.

Vor allem aber bewies der Concentus Musicus unter dem Dirigat von Nikolaus Harnoncourt seine Qualitäten im Leisen wie im Akzentuierten, mit weichem Klang, präziser Intonation und enormer Spielfreude, die dem Witz der gesamten Veranstaltung sehr zugute kam.

Diesen Orlando paladino nicht gesehen zu haben ist – trotz Walküren-Neuinszenierung an der ollen Staatsoper – das Versäumnis des Jahres, so viel kann man Ende November getrost sagen.

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